04.08.1996
Ein Kind - sprich meine Tochter - ins Bett zu bringen ist eine langwierige Angelegenheit, die die Herstellung einer guten Kanne grünen Tees locker in den Schatten
stellt...Es begann alles recht harmlos. Anfangs machte ich ihr eine frische Windel, zog ihr ihren Schlafanzug an, steckte sie in den Schlafsack, legte sie ins
Bettchen, sang ein schauderhaftes Liedchen, gab ihr einen Kuss und verließ den Raum. Mittlerweile verbittet sie sich meine Gesänge "Mama nein lalala!",
hat aber die Zeremonie dafür mit anderen Ideen bereichert. Nach dem Abendbrot werden die Zähnchen geputzt - wobei sie darauf besteht, die Tube zu öffnen
und kräftig zu drücken und mir der Part bleibt, "das reicht!" zu brüllen und mit der Zahnbürste etwas Creme wieder in die Tube zu stopfen. Dann schrubbt sie
an den Zähnen herum "Erst die Ella!", wobei es ihr aber eher darum geht so viel Zahnpasta wie möglich von der Bürste zu lutschen und unverzüglich zu
verschlucken. Dann darf ich - erst unten, dann oben und dann die Fronten - und ich muß detailliert erläutern, was für grauslige Essensreste ich gerade von den Zähnen schrubbe.
"Oh, da ist ja noch Gemüse, und da, ist das etwa Schokolade?! Sag mal, hast du kleine grüne Käfer gegessen?" ... danach trinkt sie einen Zahnputzbecher
Leitungswasser leer, während ich mit einem Waschlappen Gesicht und Hände schrubbe. Meist besprechen wir im Bad, über welche Punkte wir uns heute
besonders gestritten oder gefreut haben. Egal, wie es war, ich erwähne immer, daß es ein schöner Tag war und suche eine Sache heraus, für die ich sie
besonders loben kann. Mittlerweile überlegt sie sich auch etwas, wofür ich Lob verdiene. "Mama schön eintauft heute!"
Auf der Wickelkommode mache ich ihr dann einen frischen Hintern, wobei ich unter allen Umständen den Bauchnabel und die nackten Füße küssen muß und
sie mir neuerdings genau zeigt, wo sie demnächst einen riesigen Busen zu bekommen erwartet. Damit sind wir bis ich mit dem Schlafanzug fertig bin beim
Thema "Ela-groß-bin" Sie hat bereits genaue Vorstellungen, was sie dann tut. Mit dem Papa ein Bier trinken, Kaugummi essen, vom Fahrrad fallen, sich
schminken und in den Kindergarten und die Schule gehen! Natürlich strebt sie weiterhin den Erwerb gewisser männlicher Körperteile an, aber das hatten
wir ja schon, das Thema... Danach sucht sie ein Buch aus, das wir dann auf ihrem Sofa lesen. Ihre Top-Favoriten sind zur Zeit ein grausliges Pop-Up-Buch,
bei dem zum Schluß ein Gespenst aus dem Buch springt - und eines meiner alten Kinderbücher - Der Vodnik, ein gruseliges Monster aus einem See, daß
Seelen in Einmachgläsern sammelt. Natürlich hat sie ganz andere, viel schönere Bücher - diese Bücher sind gar nicht für sie bestimmt gewesen, sondern nur
beim Umzug zufällig in ihre Hände geraten. Diesen Besitz verteidigt sie allerdings verbissen und alle zaghaften Versuche unsererseits, ihr die beiden Bücher
unauffällig abzunehmen, werden von ihr recht rüde bekämpft. Zum Vodnik habe ich ihr erzählt, daß ich vor dem Buch immer große Angst hatte (er ist aber
auch zu garstig!), was den Reiz aber leider nur noch gehoben hat. "Mama nein Angst - Ela ja da!" Tagsüber "zankt" sie mich gerne mit "Bin Vodnik! Uaaah!"
Nach dem Buch setzt sie ihre Brille ab, gibt ihr ein Küsschen und geht ersteinmal auf ihre Rutsche. von der Rutsche klettert sie dann umständlich in ihr Bett -
und sieht zu, wie ich ihre Puppe Mimi auskleide, ihr einen Schlafanzug anziehe und die Puppe auf den Puppenschlafsack lege. Dann schaue ich einige sich
in die Länge ziehende Minuten zu, wie Michaela Mimi in den Schlafsack stopft und mit dem Reißverschluß kämpft. Wehe, Mimis Kissen ist nicht da!
Mimi bekommt noch einen Kuss von Michaela, die sich dann auch auf ihren Schlafsack legt. Ich stopfe sie hinein, gebe ihr ihren Schnuller, eine Nuckelflasche
mit Wasser, 2 rosa Teddys, einen hellblauen Teddy, einen Babyteddy und ein Buch. Sehr wichtig ist, daß alle Teddies da sind und daß das Kisssen richtig
herum liegt. Dann frage ich sie, wohin sie ihren Kuss haben will, woraufhin sie mir gnädig eine Stelle im Gesicht zuweist. Danach muß ich noch ihren Bauch,
beide Füße, Mimis Mund ud beide Füße und sämtliche Teddies küssen. Dann rufe ich den Papa, gehe ins Badezimmer, hole den Hocker, hänge ihre Uhr ab
und räume unverzüglich den Hocker wieder ins Badezimmer. (Anfangs glaubte ich tatsächlich, daß sie Angst vor der Uhr hätte, aber nun weiß ich, daß es ihr nur
darum geht, mich auf den Hocker zu scheuchen...) Dann stelle ich mich in die Tür und sage "Tschüß, schlaf gut" und warte, bis sie auch winkt und
"Tschüß" sagt. Derweil durchläuft mein Mann die "Kußzeremonie"...
und dann haben wir Ruhe, bis es am nächsten Morgen heißt "Ela nug Heia! Ela aufstein!" - ok, ich geb es ja zu - meist besteht sie morgens um 6 Uhr darauf,
mit allen Teddies, Mimi und ihren Kissen zu uns ins Bett zu kommen - aber das machen wir schon im Halbschlaf.
Bevor nun Anfragen der feministischen Art kommen, was denn mein Mann in der Zeit macht: die Küche! Alle Spuren des Abendessens beseitigen und die
Spülmaschine anwerfen - außerdem wechseln wir uns auch mal ab, aber ehrlich gesagt liebe ich das Zu-Bett-geh-Ritual und überlasse ihm gerne die Küche...