26.06.1997
"äh, äh, äh"
kommt es aus dem Nebenzimmer und meine Nacht macht eine Pause. Raus aus meinem Bett,
eventuell bekomme ich einen halb mitleidigen Blick von Felix mit, der sich dann völlig ungeniert
wieder ins Kissen kuschelt. Ich tappse ins Kinderzimmer, wo Oliver sich heftig am Fäustchen nuckelt,
um sicherzustellen, daß ich begreife, was er will.
Ich stelle mich dumm und mache ihm erst einmal eine frische Windel, was ungeduldig kommentiert
wird. äh, äh, äh Dann trage ich ihn in unsere Stillecke und gieße mir erst einmal einen Fencheltee
aus der Thermoskanne ein, den Felix mir vor dem Schlafengehen bereit stellt.
4 Uhr sagt der Wecker - ich lege meine Beine hoch, kuschle mich in den Sessel und sehe meinem
Sohn zu, der nun endlich am Ziel ist und verträumt an mir herum nuckelt. Oliver hat es nicht eilig - er
ist ein ruhiger kleiner Genießer und braucht gut eine Stunde, bevor er satt ist. Nicht, daß ich mich
beschwere, denn er kommt von Anfang an mit einer einzigen nächtlichen Mahlzeit aus.
Mir gefällt mein nächtliches Treffen mit ihm - Zeit ihn zu betrachten und ungestört herumzuschmusen.
Tagsüber passe ich schon auf, daß ich mich nicht zu affig um ihn habe. Wir wollen es Michaela nicht
schwerer machen, als nötig.
Ich liebe diesen ernsten kleinen Blick, während er trinkt, wie er ungeduldig mit den Händen wackelt,
wenn ich mich nach meiner Teetasse recke - und noch schöner sind die Augenblicke, in denen er
kurz eindöst. Das Köpfchen sackt nach hinten, die Milch tropf ihm vom Kinn, er schielt und dann
huscht dieses Engelslächeln über sein Gesicht. Ja, so war das damals mit Michaela auch, das
hatte ich schon fast vergessen. Die Zeit ist ja auch soooo kurz!
Wie wir uns eingelebt haben?
Nun, am schwersten hat es da natürlich Michaela und ich kann sie nur loben - auch wenn ich
meine Schreiberei gerade unterbrechen mußte, weil sie in ihr Bett gepinkelt hat... Zu ihrem
Bruder ist Michaela sehr lieb. Ständig stapelt sie sein Spielzeug auf sein Bäuchlein, streichelt
sein Köpfchen oder spielt "wackel wackel Fuß" mit ihm. Ok, einmal, am ersten Tag hat sie ihm
aufs Bein geschlagen, während ich ihn stillte. Nicht feste und mit interessiertem Blick auf mich.
"Du weißt, daß du das nicht darfst", sagte ich "Babys hauen ist doof. Da brauche ich gar nicht erst
zu schimpfen" Habe ich auch nicht weiter und bisher hat sie ihm nicht mehr absichtlich was getan.
Klar, ich denke, das wird sie wieder tun, wenn er krabbelt und mühsam aufgebaute Duplowerke
abbaut - aber im Moment ist Ruhe. Einmal habe ich mich sehr erschrocken, als ich ins Zimmer
kam und sie ihm mit beiden Händen den Mund aufhielt. "Michaela!", rief ich und danach mußte sie
fast 10 Minuten am Stück weinen - schließlich wollte sie nur sehen, ob er wirklich keine Zähne hat.
Ansonsten weint sie etwas schneller als sonst, provoziert uns abends, wenn sie (und wir) müde sind,
etwas mehr als sonst und treibt uns mit gelegentlichem Babyspielen in den Wahnsinn. Es gibt nichts
Schlimmeres, als wenn sie mit verdrehten Augen und niedlicher Stimme auf uns losgeht...
Geduldiges Erklären, daß Babys keinerlei Süßigkeiten haben dürfen und auch ab August nicht
in den Kindergarten dürfen, lindern diese Anfälle aber meist rasch wieder. Was mir mehr Sorgen macht,
ist daß sie jetzt nachts manchmal weint.
Wir geben uns wirklich Mühe, daß sie nicht zu kurz kommt - daß sie auch so oft fotografiert wird, wie
Oliver, daß Besucher sich auch ihr widmen, daß sie Felix und mich auch mal für sich hat...
Aber klar, wir selber sind ja auch etwas müder und gestresster, als sonst und wir können auch nicht
so tun, als wäre alles wie früher. Felix hat mir zu dem Thema in der Schwangerschaft zwei Bücher geschenkt,
die uns schon recht gut vorbereitet haben. Manchmal ist es lustig, wie genau Michaela sich nach
dem in den Büchern beschriebenem Verhalten zu richten scheint... Wüßte ich es nicht besser,
würde ich annehmen, sie hätte die Bücher gelesen und als "Anleitung für unausstehliche große
Schwestern" benutzt. Eigentlich vergeht kein Tag, an dem sie nicht laut lamentierend die Treppe
hochsteigt, die Tür zu ihrem Zimmer knallt und eine Weile lauthals herumbrüllt. Nun, trotzdem finde
ich sie toll. Manchmal brauche ich einen Kaffee, aber ich find sie klasse...
Mir selber fällt der Umgang mit Spiegeln schwer. Sie scheinen dem Bauchbereich unghörig
viel Aufmerksamkeit zu widmen. Auch zu Waagen habe ich derzeit ein gepaltenes Verhältnis. Sie
zeigen den Kiloschwund nicht in der gewünschten Form an. Während ich selber sicher bin, enorm
an Gewicht zu verlieren, bestreiten gleich 2 Digitalwaagen diese Tatsache vehement. Mistdinger!
Felix scheint die neue Situation irgendwie nicht schwierig genug zu finden und hat sich, um eine wirkliche
Herausforderung daraus zu machen, gestern noch 2 Weisheitszähne ziehen lassen :-)