die Hausfrau in der Boutique
Es gab eher ratlose Nachfragen, wie ich das mit dem
Just to be the man who walked a thousand miles
denn nun meinen würde. Nun, die Schwimmerei macht mir einfach deshalb Spaß, weil ich
damit jemand bin, der werktäglich 50 Bahnen schwimmt. Irgendwie ein gutes Gefühl, wenn
es auch zu einem erstaunlich geringen Gewichtsverlust führt. Keine Frauchenzeitschrift würde
sich trauen, damit zu locken, daß man mit 5 Wochen Schwimmerei gerade mal 2 kg verliert - auch
4 Pfund klingt nicht viel besser. Und so erfährt man in Frauchenzeitschriften halt, wie man
spielend 10 kg in 14 Tagen verliert, dabei aber essen kann, was immer man möchte, (solange es
aus Sellerie besteht), während ich unbeeindruckt schwimme und jedem sich mir in den Weg werfenden
Sellerie aus dem Weg gehe.
Dennoch hat die Schwimmerei Auswirkungen, welche ich vorgestern in einer Boutique genoß. Ich mag den
Laden. Die Eigentümerin und ihre Verkäuferinnen sind zeitlose, schwer Sonnenbank gebräunte
Damen mit einem bedenklichen Hang zu (jugendlichen?) Tiger-Look und Glitzerfummeln, die im Laden
rauchen, Kaffee trinken und sich nur ungerne in ihren Gesprächen stören lassen.
Im Fenster hängen Glitzergürtel, getigerte Glitzer-Stretch-Hosen und was die Dame ab 50
so braucht, um noch Kunden anzulocken ...
Eigentlich nicht wirklich das Umfeld, in dem ich stöbern würde, wenn sie nicht einmal ein Kleid
auf dem Ständer vor den Laden gehängt hätten, an dem es für mich kein Vorbeikommen gab.
Sehr unnuttig und genau meine Farben!
Seither weiß ich, daß das Wühlen dort lohnt, denn die Damen verkaufen was ihnen gefällt,
nicht, was gerade in Mode ist - und eine von ihnen muß meinen Geschmack haben.
So war ich auch Montag wieder dort - die Verkäuferin gehörte zwar eindeutig der glitzrigen
Tiger-Lady-Clique an, beriet mich aber sehr hilfreich.
Ne, das spannt am Hintern!
Ich sagte ihr, daß ich irgendein flatterndes Sommerkleid bräuchte und so schleppte sie alles,
was ich nicht umgehend mit Oberweite oder Gesäß sprengen würde an und bestand mit sanftem
Nachdruck darauf, daß ich auch alles anprobiere. Ein Kleid war sonnengelb mit blauen Blumen - ich
schob es spontan beiseite, sie schob es sanft zurück, ich schob es beiseite, sie nahm es vom Bügel
und drückte es mir in die Hand.
Ich weiß, wann ich geschlagen bin und zog es brav über - wow! Sollte ich Karneval je als
Plumeau (nicht Plymmo :) gehen wollen, wäre das allererste Wahl! Verkäuferinnen sollten sich
nicht kichernd auf den Schenkel klopfen, finde ich ...
Das nächste Teil war
raffiniert. Das heißt rundherum lang, aber vorne höchst
großzügig geschlitzt und dann so gearbeitet, als trüge man über einem ultra kurzen
MiniRock ein langes Kleid. Mit anderen Worten - es lenkte den Blick auf die Innenseite der
Oberschenkel und der passende Spruch zum Kleid wäre wohl
50,- aber nur mit Kondom!
Meine glitzernde Modeberaterin schenkte uns noch einen Kaffee ein und rückte endlich eines der
Kleider heraus, von denen sie vermutlich die ganze Zeit wußte, daß ich es darauf abgesehen hatte.
Weit, aber kein Zelt, keine Schleifchen, keine Streublumen, keine Teddies, keine Bettbezugsmuster und
blau. Das Problem an der Mode ist, daß die meisten Klamotten derzeit eng sind. Klar, man kann sie
in größeren Grössen kaufen, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß sie
eng sind, weil das leider die Mode ist. Und was an einem knackigen, (aber dafür pickeligen, ätsch, ätsch, ätsch)
Teenager nett die Straffheit der Körper betont, betont in grösseren Grössen ganz etwas
anderes. VSP sozusagen.
Nicht VSL - visible Slip-Line, die mittels Tanga-Strippenhöschen und neckischen Dreieck-Slipeinlagen
verhindert werden kann, sondern "vorhandene Speck-Röllchen".
Denn leider bedeutet eine Kleidergrösse 42 nicht, daß man einen etwas grösseren, straffen
Körper hat, sondern halt - Röllchen, die durch alles, was irgendwie und irgendwo anliegt,
betont werden und einem den Charme eines Pirelli-Weibchens verleihen.
An dem Tag erfuhr ich aber, daß auch Kleidergrössen 36 das Röllchenproblem kennen und
VSP mehr mit Sport, denn mit Gewicht zu tun hat.
Ich entdeckte nämlich einen Traum von einem T-Shirt. Dünner Flatterstoff und dann eine Grösse
38, die ich einfach nicht habe. Meine charmante Mode-Beraterin nuckelte an ihrem Zigarillo und meinte -
das trägt auf!
Wie das nun so ist, wenn man Sport treibt und den gewissen - ich bin bald wieder ganz schlank - Optimismus
in sich trägt, ich mußte das T-Shirt anprobieren. Vielleicht fiele es ja groß aus?
Es fiel nicht groß aus - es lag an, aber - ok, es wäre übertrieben zu sagen, meiner
charmanten Modeberaterin fiel der Zigarillo aus dem Mundwinkel ... - obwohl es anlag, machte es keine
seltsamen Dellen am Rücken. Sie ist weg!
Meine tückische unter der Schulter hervorquellende Rolle ist weg - von mir gegangen in einer der
vielen durchschwommenen Bahnen.
Sie können das ja tragen?! japste meine charmante Modeberaterin und nahm keinen kräftigen
Schluck aus ihrem Flachmann. Vom Typ her hätte eine Flasche Eckes Edelkirsch unter der Theke zu
ihr gepaßt, aber ich will mal nicht so übertreiben.
Ich stand leicht verdattert vor dem Spiegel und betrachtete mich in dem eigentlich zu engen T-Shirt. Klar,
das war gekauft. Oh und dann kam ich in den tiefen Genuß, einmal diesen Satz zu sagen - sie
demontrierte mir nämlich, daß sie keine engen Shirts tragen könnte (daß sie besser
auch von engen hellblauen Tiger-Glitzer-Jeans Abstand nähme, sagte ich aus Respekt vor ihrem Alter
nicht ...). Tatsache - unter ihrem BH-Verschluß quoll es mir sonnenbankgebräunt entgegen.
Ja, sagte ich dann also
ich schwimme fast täglich
Und dann stand diese Frau, die sich ihr Leben lang ihre zierliche Figur zu bewahren wußte da und
bewunderte mich für meine sportlich trainierten Massen. Ich hatte gönnerhaft Verständnis
für ihre partielle Schlaffheit ...
But I would walk five hundred miles
And I would walk five hundred more
Just to be the man who walked a thousand miles